Putnam: Die funktionale Ebene
Den Gedanken, die logisch-funktionale Ebene von der physikalisch-strukturellen zu unterscheiden, hat gut zwei Jahrzehnte später Hilary Putnam in einem Beitrag zum Leib- Seele-Problem aufgegriffen. Um dafür zu argumentieren, daß die "verschiedenen Streitpunkte und Rätsel" bei diesem Problem "ihrem Wesen nach rein sprachlich und logisch", somit "ein leerer Streit um Worte" sind, entwirft er das Gedankenexperiment einer Turingmaschine, die "elektronische Sinnesorgane" hat und "Theorien über ihre eigene Struktur formulieren" und überprüfen kann.
Beispielsweise läßt sich dann, so Putnam, zu der Frage, ob "zulässigerweise geistige Ereignisse mit körperlichen Ereignissen identifiziert werden können oder nicht", für die Maschine ein "logisches Analogon konstruieren", wenn die "geistigen" Zustände eines Menschen mit den funktionalen einer Maschine und die "körperlichen" mit den physikalischen in Analogie gesetzt werden. Die Aussage "Ich habe genau dann Schmerzen, wenn ich eine C-Faser-Reizung habe" entspricht dann der Aussage "Ich befinde mich genau dann im Zustand A, wenn die Flip-Flop-Schaltung 36 an ist" (und letztere stellt für uns überhaupt kein philosophisches Problem dar, wohl aber für die Maschine, so wie die erste für uns).
"Kurz, jede philosophische Argumentation, die jemals im Zusammenhang mit dem Körper/Geist-Problem benutzt worden ist . . . hat ihr genaues Gegenstück beim ,Problem‘ der logischen und strukturellen Zustände von Turingmaschinen".
Neben diesem Beitrag zum Leib-Seele-Problem entwirft Putnam – und das ist für unseren Zusammenhang wichtiger – in dem Aufsatz ein neues psychologisches Forschungsprogramm:
"Es ist interessant zu bemerken, daß es entsprechend den beiden möglichen Beschreibungen des Verhaltens einer Turingmaschine – dem strukturellen Entwurf des Technikers und der "Maschinentafel" des Logikers – auch zwei mögliche Beschreibungen der Psychologie des Menschen gibt.
Der "behavioristische" Ansatz . . . zielt darauf ab, schließlich eine vollständige physikalistische Beschreibung des Menschen zu liefern, die mit der Chemie und Physik verknüpft ist. Dies entspricht der Beschreibung, die ein Techniker oder Physiker von einer physikalisch realisierten Turingmaschine gibt.
Aber es wäre auch möglich, nach einer abstrakteren Beschreibung der geistigen Vorgänge von Menschen Ausschau zu halten, in der auf "geistige" Zustände (ihre physikalische Realisierung, falls sie überhaupt eine haben, wird nicht angegeben) und "Eindrücke" (sie spielen die Rolle der Symbole auf dem Band der Maschine) zurückgegriffen wird – eine Beschreibung, in der die Gesetze, welche die Aufeinanderfolge der Zustände steuern, angegeben würden, sowie deren Beziehung zur Verbalisierung (oder jedenfalls zum verbalisierten Denken). Diese Beschreibung wäre das Analogon zu einer "Maschinentafel".
Gegen die Identitätstheorie und gegen den Behaviorismus stellte Putnam damit die Hypothese auf, daß "Schmerz zu haben" und auch andere geistige Zustände (z. B. intentionale wie Überzeugungen und Wünsche) "ein funktionaler Zustand des Organismus" sind und daß somit für ein angemessenes und gesichertes Verständnis dieser "Zustände" auch Wissen über die "funktionale Organisation" eines Lebewesens auf einer eigenen, nicht reduzierbaren Ebene zwischen der physikalischen und der des beobachtbaren Verhaltens nötig ist.
Für diese These führte er an, daß sie
"trotz ihrer zugestandenen Vagheit weit weniger vage ist als die ,physikalisch-chemische Zustandshypothese‘ heute ist und daß sie der Forschung sowohl mathematischer als auch empirischer Art weitaus zugänglicher ist. Tatsächlich heißt, diese Hypothese zu untersuchen, zu versuchen, ,mechanische‘ Modelle von Organismen zu produzieren – und ist das nicht in einem gewissen Sinn das, wovon die Psychologie handelt?"
Wenn und insofern bei diesem Forschungsansatz von der speziellen physikalischen Realisierung abgesehen wird, gibt es kaum noch einen guten Grund, nichtorganischen Realisierungen dieser "mechanischen Modelle" Bewußtsein und andere geistige Attribute abzusprechen, die "funktionale Organisation (Problemlösen, Denken) des Menschen oder der Maschine läßt sich durch die Abfolgen der geistigen bzw. logischen Zustände (und die dazu gehörigen Verbalisierungen)" in gleicher Weise beschreiben, beim "rationalen Denken (oder Rechnen) ist das ,Programm‘, das die Reihenfolge der Zustände usw. festlegt," in gleicher Weise "rationaler Kritik zugänglich."
Parallel zu den programmatischen Aufsätzen Putnams hat der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky auch der Linguistik eine neue Sichtweise und Richtung gegeben. In brillanten Polemiken kritisierte er den Anspruch von Skinner und anderen Behavioristen, "verbales Verhalten" vollständig und adäquat im Rahmen einer Stimulus-Response-Theorie behandeln zu wollen. Dagegen argumentierte er überzeugend, daß es mit "Verhaltensanalyse" und "Analyse derWechselwirkung physikalischer Körper" nicht möglich ist, den "kreativen Aspekt des Sprachgebrauchs" zu erklären,
"nämlich die prinzipielle menschliche Fähigkeit, neue Gedanken formulieren und völlig neue Formulierungen von Gedanken verstehen zu können, und zwar im Rahmen einer ,instituierten Sprache‘, einer Sprache, die als Produkt einer Kultur Gesetzen und Prinzipien unterliegt, die teilweise für sie allein gelten, teilweise aber auch generelle Eigenschaften des Geistes reflektieren".
Nach Chomsky müssen wir, "wenn wir jemals verstehen wollen, wie Sprache gebraucht oder erlernt wird," ein "kognitives System voraussetzen, ein System von Wissen und Glauben, das sich in frühester Kindheit entwickelt". Und er plädiert – unter ausdrücklichem Rückgriff auf Descartes – für eine eigene Untersuchungsebene unter der Oberfläche des Verhaltens und über der physiologischen Ebene, dafür, "ein abstraktes theoretisches Modell zu entwickeln, das soweit wie möglich diese Phänomene erklärt und die Prinzipien ihrer Organisation und Funktionsweise aufdeckt".