Fodor: Die Sprache des Geistes
Vor allem Jerry A. Fodor hat die Gedanken von Putnam und Chomsky (u. a. den, daß dasselbe äußerlich beobachtbare Verhalten Ausdruck verschiedener (Sprach-) Handlungen sein und dieselbe Handlung durch unterschiedliches Verhalten ausgedrückt werden kann) aufgenommen und zu einer heute als Funktionalismus bezeichneten Theorie des Geistes weiterentwickelt.
Gegen die Identitätstheorie und das Programm der Einheitswissenschaft des Wiener Kreises einerseits und den Behaviorismus andererseits forderte er das Forschungsprogramm einer kognitiven Psychologie:
"Zur Konstruktion von psychologischen Theorien veranlaßt uns unter anderem das Vorhandensein der Entsprechungen von Synonymie und Ambiguität in nicht-verbalem Verhalten. Genauso wie – ein Beispiel aus der Linguistik – nicht jede Äußerung der Phonemfolge "Bank" eine Äußerung desselben Wortes ist, genausowenig ist jedes Auftreten einer bestimmten Bewegung oder Muskelkontraktion für die Psychologie ein Fall desselben Verhaltens. Umgekehrt können in der Linguistik zwei phonetisch distinkte Äußerungen ("Junggeselle", "unverheirateter Mann") in signifikanten Hinsichten äquivalent sein. [ . . . ] Für beide Wissenschaften hat das dieselbe Konsequenz. Wenn wir zu den relevanten Generalisierungen kommen wollen, müssen Gleichheit und Verschiedenheit der Ereignisse, mit denen die Wissenschaft es zu tun hat, oft durch Verwendung von Eigenschaften, die nicht direkt beobachtet werden können, bestimmt werden. [ . . . ] Psychologische Theorien . . . charakterisieren die inneren Zustände von Organismen nur in Hinblick auf die Art und Weise, wie sie zur Erzeugung von Verhalten funktionieren. [ . . . ] Das heißt, Theorien werden gebildet unter Verwendung solcher funktional charakterisierten Begriffe wie Erinnerungen, Motive, Bedürfnisse, Triebe, Wünsche, Strategien, Überzeugungen usw., ohne daß dabei auf die physiologischen Strukturen Bezug genommen wird, die diesen Begriffen in irgendeinem Sinn möglicherweise entsprechen".
Der von Putnam und Fodor propagierte Funktionalismus geht davon aus, "daß der psychologische Typ, dem ein einzelnes mentales Phänomen zugeordnet wird, durch die kausale Rolle bestimmt ist, die diesem Phänomen im mentalen Leben eines Organismus zukommt." Anders als bei den Behavioristen hängt dabei die funktionale Rolle eines Zustandes "sowohl von der Beziehung dieses Zustandes zu anderen Zuständen als auch vom Input und Output ab." Schmerzen werden beispielsweise nicht nur durch Reize und Reaktionen sondern auch durch den Wunsch, die Schmerzen loszuwerden, charakterisiert.
Die von der speziellen physikalischen Realisierung abstrahierende funktionale Beschreibungsebene (so wie "Ventilöffner" statt "Nockenwelle") sichert zwar eine eigene, für mentale Phänomene angemessenere Beschreibungsebene, birgt aber immer die Gefahr, daß hier theoretische Entitäten postuliert werden, die keinen empirischen Gehalt haben. Der Verweis auf die zwar bloß logisch beschriebene, aber tatsächlich physikalisch realisierbare universelle Turingmaschine sollte dieser Gefahr vorbeugen:
"Die Turingmaschine stellt immer dann, wenn es um die Verarbeitung von Symbolen geht, eine Verbindung zwischen der funktionalistischen und der mechanistischen Erklärung her. Indem man eine psychologische Theorie auf das Programm einer Turingmaschine reduziert, treibt man gleichsam den Ungeist des Homunkulus aus. Es werden keine Operationen gefordert, die nicht durch einen bekannten Mechanismus zustandegebracht werden können".
Fodor entwickelte die von Putnam vorgeschlagene funktionale Sichtweise zu einer gegenwärtig einflußreichen und viel diskutierten Theorie des Geistes weiter, indem er – gestützt auf eigene Arbeiten in der Linguistik und auf Entwicklungen in der Informatik (Von-Neumann-Maschinen, höhere Programmiersprachen) – vom Modell der Turingmaschine abrückte und statt dessen die Annahme einer internen "Sprache des Geistes" – analog zu der bei Computern üblichen zweiten Sprache:
"an input/output language in which they communicate with their environment and a machine language in which they talk to themselves (i. e., in which they run their computations)" –
zur Beschreibung und Erklärung des Denkens und intelligenten Verhaltens in den Mittelpunkt stellte.
Fodors Hauptinteresse richtet sich nicht (wie bei Putnam) auf phänomenale oder qualitative mentale Zustände wie z. B. Schmerzen oder eine Rotempfindung, sondern auf intentionale, auf sogenannte propositionale Einstellungen der Art "Person X glaubt (hofft, befürchtet etc.), daß "p" (wobei p für die Repräsentation eines Sachverhaltes, den Inhalt, steht).
Propositionale Einstellungen sind charakterisiert als eine bestimmte Relation (man kann etwas glauben, wünschen, bezweifeln) zwischen einer Person (Ich, Anna, Bernd) und einem speziellen Inhalt (daß Tante Frieda zu Besuch kommt, daß der HSV den Europapokal gewinnt), wobei die Art der Relation durch ihre funktionale (und, als Äquivalenzklasse irgendwelcher physikalischer Realisierungen, auch kausale) Rolle (zu Reizen, zu anderen mentalen Zuständen und zu Verhaltensreaktionen) bestimmt wird und der Inhalt symbolisch (als "formulae in the internal code") im Geist repräsentiert wird.
Darüber hinaus – und das ist der entscheidende Schritt von einer repräsentationalen zu einer komputationalen Theorie des Geistes – nimmt Fodor an, daß Kognitions- und Denkprozesse nur Zugang zu den formalen (syntaktischen), nicht jedoch zu den inhaltlichen (semantischen) Eigenschaften der in der "Sprache des Geistes" geschriebenen Repräsentationen haben und daß solche Prozesse nichts anderes sind als das regelgeleitete, formale Operieren mit den Symbolen.
Genau so, wie die Verarbeitungsprozesse eines Computers durch ausschließliches Betrachten der in der Maschinen- oder Programmiersprache formulierten Daten und Algorithmen verstanden werden können, ohne auf die spezielle Hardware (Vakuumröhren, Siliziumchips oder was auch immer) zu achten, genau so, wie die syntaktischen Operationen der Programme gemäß dem FORMALISTENMOTTO die von der Benutzergemeinde intendierten semantischen Inhalte gleichsam mittransportieren, ohne etwas von ihnen zu "wissen", genau so lassen sich auch psychologische Prozesse beschreiben und verstehen, ohne auf die physiologischen Prozesse des Gehirns und auf die semantischen Eigenschaften der Repräsentationen Bezug zu nehmen.
Geist verhält sich zum Gehirn wie Software zur Hardware, Denken ist (wie ein Digitalcomputer) Rechnen, nicht nur als Metapher, sondern im Wortsinne:
"Insofar as we think of mental processes as computational [ . . . ] it will be natural to take the mind to be, inter alia, a kind of computer".
Die Symbole der internen "Sprache des Geistes" führen also ein Doppelleben (als dritte Ebene kommt die physische hinzu): sie haben Bedeutung, insofern sie Repräsentationen von etwas sind (und die Bedeutung komplexer Formeln ergibt sich, wie beim logischen Atomismus, kontextfrei ausschließlich aus der Komposition der elementaren Symbole), aber beim Ablauf kognitiver Prozesse wird die Bedeutung völlig ignoriert und nur die syntaktische Form spielt eine kausale Rolle (daraus folgt, daß sich – bei gegebener Person und Relation – zwei Gedanken nur unterscheiden können, wenn sich die syntaktische Form der Repräsentationen dieser Gedanken unterscheidet, umgekehrt gilt das nicht).
Nur so wird der "Ungeist des Homunkulus" ausgetrieben (und jede Textverarbeitung auf einem PC zeigt, wie es geht), und nur so wird dennoch erlaubt, das Verhalten auch aufgrund des Inhalts einer propositionalen Einstellung zu erklären.
Der Funktionalismus in seiner Verbindung von mentalen Repräsentationen in der Tradition der neuzeitlichen Bewußtseinsphilosophie von Descartes über Locke bis Kant und der idealsprachlichen Repräsentation mit bloß formaler Symbolmanipulation als calculus ratiocinator zu der empirischen These (und nicht bloß als methodologische Forderung für eine intersubjektiv besser gesicherte Erkenntnis und Argumentation wie bei Leibniz über Frege bis Carnap), daß Denken Komputieren ist (bzw. daß diese Annahme empirisch am fruchtbarsten ist), ist die Philosophie des Geistes des Computer-Zeitalters, "in der amerikanischen Philosophie . . . die Mehrheitsposition" und wohl "die gegenwärtig dominierende Interpretation mentalistischer Begrifflichkeit".
Seine Attraktivität hat er erlangt
in der Philosophie durch die Hoffnung auf die Lösung einiger traditionellen Rätsel der Bewußtseinsphilosophie (Leib-Seele-Problem, Intentionalität, Willensfreiheit), durch die Vereinbarkeit der Annahme einer kausal abgeschlossenen physikalischen Welt mit der einer eigenen mentalen Wirkungsebene, ohne Reduktionismus und ohne Homunkulus;
in der mit dem Behaviorismus sehr verarmten Psychologie (und Linguistik) durch die Rehabilitierung eines genuinen, gegenüber dem einheitswissenschaftlichen Physikalismus eigenständigen kognitiven Forschungsansatzes (als Informations- bzw. Symbolverarbeitung), der dennoch den natur- (und somit nach diesem Selbstverständnis überhaupt erst) wissenschaftlichen methodischen Ansprüchen genügt;
in der Computerwissenschaft durch die Vision der Möglichkeit, wirklich denkende und intelligente (und nicht jeweils bestimmte Prozesse bloß simulierende bzw. die Ergebnisse dieser Prozesse bloß leistungsanalog erbringende) Computersysteme zu entwickeln;
und vor allem in einer (mindestens) die genannten Disziplinen vereinenden Cognitive Science durch die Erwartung einer nicht anthropozentrischen, einheitlichen Theorie "intelligenter Systeme", zu denen Menschen, Tiere, Computer und Besucher von außerhalb der Erde gleichermaßen gehören können, und durch die Erfahrung einer fruchtbaren Zusammenarbeit, in der Computerprogramme empirische Tests und Gedankenexperimente für philosophische, psychologische und linguistische Theorien seien können und die Bemühungen der KI Antworten auf, zumindest aber ein tieferes Verständnis der Fragen dieser Disziplinen ermöglichen.
Die gegenwärtige Vorherrschaft des Funktionalismus darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß mit ihm keineswegs alle oder auch nur die meisten Probleme des Geistes und des Denkens gelöst sind. Fodor selbst sieht das ganz deutlich, wenn er die komputationale Theorie des Geistes in erster Linie bloß als Forschungsstrategie für die (kognitive) Psychologie vorschlägt.
Wenn kognitive Leistungen als Ergebnisse bloß formaler Prozesse über mentale Repräsentationen angesehen werden, haben letztlich nur die Operationsregeln und die formale Gestalt der Symbole in der "Sprache des Geistes" des einzelnen Individuums Erklärungswert im Rahmen dieser Theorie; und das gilt z. B. auch für die Wahrnehmung der Außenwelt: nicht wie die Welt wirklich beschaffen ist, sondern welche Symbole auf dem Weg durch die Sinnesorgane und in der Interaktion des Nervensystems in der internen Sprache am Ende erzeugt werden, zählt für diese Theorie.
Fodor nimmt hier – anknüpfend an Descartes – bewußt den Standpunkt des "methodologischen Solipsismus" ein, denn für die Erklärung des Verhaltens einer Person im Rahmen der Psychologie sei nur wichtig, was diese "im Kopf" habe, ein Vergleich mit der Realität und damit semantische Kategorien wie Wahrheit, Sinn, Bedeutung (Bezug) spielen dabei keine Rolle (Ödipus wollte Iokaste heiraten, nicht seine Mutter).
Konsequenterweise sieht er auch nicht die Möglichkeit einer Psychologie des Wissens (nur eine des Glaubens und genaugenommen auch nicht eine der Wahrnehmung, denn "Sehen" ist ja – wie Ryle schon bemerkte – ein "Erfolgszeitwort").
Fodor will mit seinem Plädoyer für eine "rationalistische" Psychologie eine "naturalistische" – eine, die auch die Einbettung des Individuums in die wirkliche Welt zum Thema hat – nicht ausschließen, ist aber äußerst skeptisch, daß es je möglich sein wird, die dafür nötigen Fakten und Kausalverbindungen zwischen allen möglichen Dingen und Personen in wissenschaftlich befriedigender Weise zu spezifizieren.
"My point then, is of course not that solipsism is true; it’s just that truth, reference and the rest of the semantic notions aren’t psychological categories. What they are is: they’re modes of Dasein. I don’t know what Dasein is, but I’m sure that there’s lots of it around, and I’m sure that you and I and Cincinnati have all got it. What more do you want?"
Nicht alle sind bei der Einschätzung der Reichweite der funktionalistischen Theorie des Geistes so vorsichtig wie Fodor. Auch gegen seinen Ansatz, erst recht aber gegen den in der KI und in der kognitiven Psychologie häufig vertretenen Anspruch, mit dem Funktionalismus und dem Computermodell eine umfassende und befriedigende Theorie des Geistes und des Denkens zu entwickeln, sind eine Reihe gewichtiger Einwände erhoben worden:
Der Funktionalismus ist eine zu "liberale" Theorie des Geistes, es können mit ihm auch Systemen mentale Eigenschaften zugesprochen werden, bei denen das offensichtlich zu Unrecht geschieht. Wenn von der speziellen physikalischen Struktur abgesehen wird und nur die funktionale Organisation und irgendwelche Inputs und Outputs in Betracht kommen, können auch eine Milliarde Chinesen, die das Verhalten je eines Neurons simulieren und deren Zusammenspiel über Satellitenkommunikation realisiert wird, oder das von einem Tycoon entsprechend manipulierte Finanzsystem eines kleinen Landes als "mentale Systeme" bezeichnet werden.
Andererseits ist der Funktionalismus eine zu enge, zu reduzierte Theorie des Geistes. Die Konzentration auf propositionale Einstellungen und kognitive Prozesse vernachlässigt andere Bereiche des Mentalen wie phänomenale Bewußtseinszustände ("Qualia"), implizites Wissen und Können (knowing how statt knowing that). Das gilt insbesondere für solche Bereiche, die in enger Verbindung zum Körper stehen wie Empfindungen, Gefühle, kinästhetische Erfahrungen.
Es bestehen durchaus berechtigte Zweifel daran, daß sich Denken und andere mentale Operationen allein im Medium einer satzartigen Repräsentation in einer "Sprache des Geistes", durch Komposition und serielle Transformation digitaler Symbole erkläaren lassen. Zumindest für bildhaftes, assoziatives Denken, für Wahrnehmungen und Mustererkennung sind möglicherweise analoge und verteilte Repräsentationen sowie parallele Prozesse angemessener.
Der methodische Solipsismus wird der zunehmend allgemein akzeptierten Einsicht nicht gerecht, daß Gebrauch und Verstehen von Sprache (und somit auch wichtige Aspekte des Denkens) ein soziales Gut, Teil der Lebenspraxis in einer Sprachgemeinschaft sind.
Schließlich hilft die möglicherweise tatsächlich einmal aufweisbare funktionale Äquivalenz zu einer Turingmaschine oder zu einem Computerprogramm überhaupt nicht zur Erklärung der unmittelbaren Erfahrung des Bewußtseins und der Subjektivität, dazu, wie sich der Geist "von innen anfühlt", wie es "ist", ein bestimmtes, bewußtes Wesen zu sein.
Zu den dezidiertesten Kritikern des Funktionalismus als dem Verlangen, der Überzeugungs- und Wunschpsychologie "zur ,Wissenschaftlichkeit‘ zu verhelfen, indem man sie unmittelbar mit der Computerpsychologie gleichsetzt", gehört heute interessanterweise sein Begründer Hilary Putnam.
In einem Buch, dessen "Hauptzielscheibe" eines seiner "früheren Ichs" ist, beantwortet er ausführlich die Frage "Warum hat der Funktionalismus nicht funktioniert?" Seinen damaligen Ausgangspunkt, die Kritik an der Identitätstheorie, hält er dabei aufrecht:
"Der Hinweis darauf, daß den verschiedenen physischen Zuständen, in denen man sich befinden kann, während man glaubt, daß eine Katze auf der Matte liegt, nichts physikalisch/chemisch Spezifizierbares ,gemeinsam‘ zu sein braucht, war eine einsichtsvolle Erkenntnis des Funktionalismus".
Nun aber kommt er zu dem Ergebnis,
"daß auch den verschiedenen kalkülmäßigen [computational] Zuständen, in denen man sich befinden könnte, während man glaubt, daß eine Katze auf der Matte liegt, nichts kalkülmäßig Spezifizierbares ,gemeinsam‘ zu sein braucht",
sie also allein auf dieser funktionalen Ebene nicht eindeutig identifiziert werden können. Schlimmer noch, die Behauptung, daß die menschliche Rationalität durch eine "funktionale Ordnung" charakterisiert werden könne, verliert dadurch jede nachvollziehbare Bedeutung, daß er in Erweiterung bestimmter modelltheoretischer Theoreme von Löwenheim und Skolem beweist:
"Jedes Ding besitzt jede funktionale Ordnung".
Daraus folgt, daß zur Erklärung von Intentionalität, von Denken und Verstehen mehr nötig ist als Äquivalenzbeziehungen zwischen komputationalen Zuständen,
"daß kalkülmäßige Modelle des Gehirn/Geists nicht ausreichend sind für die kognitive Psychologie. Ohne Bezugnahme auf die jeweilige Umgebung können wir keine Begriffe und keine Überzeugungen individuieren. Bedeutungen sind nicht ,im Kopf".